Die Österreicher sehen die Digitalisierung der Rechtsberatung mit gemischten Gefühlen. Das zeigt die repräsentative, österreichweite Umfrage (n=1.000) von PHH Rechtsanwälte. Jetzt diskutierten dazu Rechtsexperten von Unternehmen, Legal Techs und Kanzleien über digitalisierte Rechtsberatung und den Faktor Mensch.
Ein Computer, der Schadenersatz einfordert, dem Nachbarn mit einer Klage droht oder gar die komplette Verteidigung bei einem Prozess übernimmt? Die Österreicher sehen die Digitalisierung der Rechtsberatung mit gemischten Gefühlen. Das zeigt die repräsentative, österreichweite Umfrage (n=1.000), die marketagent.com im Auftrag von PHH Rechtsanwälte, durchgeführt hat. Bei PHH Rechtsanwälte diskutierten dazu Rechtsexperten von Unternehmen, Legal Techs und Kanzleien über digitalisierte Rechtsberatung und den Faktor Mensch.
„Rein technisch sind tatsächlich schon viele Prozesse digitalisiert möglich“, sagt Nassim Ghobrial, Business Development PHH Rechtsanwälte. Dennoch stehen viele Österreicher der Digitalisierung in der Rechtsberatung noch eher skeptisch gegenüber. Nur 43 Prozent der Österreicher zwischen 20 und 69 Jahren können sich sehr gut oder gut vorstellen, digitalisierte Rechtsdienstleistungen zu nutzen. Bei Immobilienrecht, (50 %) sowie Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (49 %) sowie Bank- und Finanzrecht (47%) liegt die Zustimmung am höchsten. Etwas weniger Zustimmung erhalten digitalisierte Prozesse bei Schadensersatzforderungen oder strittigen Fällen (41%). Am wenigsten können sich die Befragten digitalisierte Prozesse bei familienrechtlichen Fragen vorstellen. Hier liegt die Zustimmung nur 27 %. Männer sind dabei etwas digitalisierungsaffiner als Frauen. „Je privater und je mehr Streitpotential ein Rechtsgebiet, desto stärker ist die Ablehnung“, erklärt Ghobrial. Liegt der Anteil derjenigen, die digitalisierte Prozesse völlig ablehnen, im Durchschnitt bei einem Viertel der Befragten (25%), so sind es im Familienrecht mehr als ein Drittel (37%).
Digitalisierung schon längst da
Dass die Digitalisierung in der Rechtsberatung bereits angekommen ist, sei jedoch Fakt, so die Diskutanten der Podiumsdiskussion. Andreas Balog, Vorstand der Vereinigung Österreichischer Unternehmensjuristen und Geschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bundes sagt: „Der Einfluss der Digitalisierung auf unser gesamtes Wirtschafts-, Arbeits- und Gesellschaftsleben ist massiv. Selbstverständlich macht sie auch vor Juristen nicht halt.“ Philip Rosenauer, Rechtsanwalt bei PHH Rechtsanwälte betont: „Es gibt bereits eine Vielzahl von IT-Lösungen für die Rechtsanwaltschaft, die zu einer Effizienzsteigerung über den kanzleiinternen Bereich hinaus einen Nutzen stiften.“ Simon Schützeneder, Vorstand der Vereinigung Österreichischer Unternehmensjuristen und Rechtsabteilungsleiter Bombardier Services CEE, ortet sogar eine Chance: „Aus Sicht eines international tätigen Unternehmens gelingt es mit Hilfe von Legal Tech Tools bereits sehr gut, die tägliche Arbeit von Unternehmensjuristen effizienter und zeitschonender zu gestalten. Dies unter anderem dadurch, dass bestimmte weniger komplexe oder standardisierte Aufgaben durch Legal Tech Tools erledigt beziehungsweise erleichtert werden können.“ Für Kathrin Shahroozi, Gründerin der Legal Tech Initiative Austria braucht es dazu aber neue Skills: „Durch zielgerichtete Ausbildung der Next Generation und den Abbau von Ressentiments bei jedem Anwender, gleich welcher Karrierestufe, kann die gesamte Branche von Neuerungen durch Digitalisierung profitieren.“ Die Vereinigung der Unternehmensjuristen startet gerade einen Lehrgang zum Certified Digital Legal Expert.
Anwalts-Image nicht digital
Allerdings ortet Nassim Ghobrial noch massiven Kommunikationsbedarf bei Mandanten und potenziellen Kunden. Denn eine Erklärung für die Digitalisierungsskepsis sei die Erwartungshaltung der Österreicher an ihre Rechtsanwälte. Die Österreicher denken beim Thema Rechtsberatung nämlich spontan an Probleme bzw. strittige Fälle, wie Unfälle (26 %), Scheidungen (19 %), Erbschaftsangelegenheiten (16 %), Arbeitsrecht (9 %) und Nachbarschaftsstreitigkeiten (8 %). 28 % würden sich generell bei allen Streitigkeiten an einen Rechtsanwalt wenden, die sie selbst nicht mehr lösen können. Knapp 12 % davon würden bei allen rechtlichen Fragen Rechtsberatung einholen. Extra genannt wurden etwa Vertragserrichtung, Immobilienrecht sowie Gesellschaftsrecht. Klar ist – der Rechtsanwalt soll für die eigenen Rechte kämpfen und erstreiten, das zeigen die Antworten sehr deutlich. „Aber genau das wird sich auch mit digitalisierten Prozessen nicht verändern“, betont Ghobrial.
Statements zur Podiumsdiskussion
- Andreas Balog, Vorstand der Vereinigung Österreichischer Unternehmensjuristen und Geschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bundes: „Der Einfluss der Digitalisierung auf unser gesamtes Wirtschafts-, Arbeits- und Gesellschaftsleben ist massiv. Sie hat die Art und Weise wie wir leben, denken und handeln stark verändert. Selbstverständlich macht die Digitalisierung auch vor Juristen nicht halt. Um den Anforderungen der Praxis weiterhin gerecht zu werden sollten wir dies bei der Aus- und Weiterbildung berücksichtigen und verstärkt Themen wie Grundbegriffe der Technik, Legal-Tech-Anwendungen und selbstverständlich die wichtigsten rechtlichen Fragen rund um die digitale Transformation behandeln.“
- Nassim Ghobrial, Head of Business Development PHH Rechtsanwälte: „Rein technisch sind schon viele Prozesse digitalisiert möglich. Dennoch stehen die Österreicher einer komplett digitalisierten Beratung skeptisch gegenüber. Die Umfrage zeigt deutlich, wie wichtig der Faktor Mensch in der Rechtsberatung ist und bleibt.“
- Max Kindler, Gründer der digitalen Rechtsabteilung In Case Of: „Legal Tech wirkt, wenn man die dahinterstehende Technologie nicht spürt. Jedes erfolgreiche Legal Tech Tool muss die User Erfahrung verbessern: den Zugang des Mandanten zur Rechtsberatung und die Arbeit der Rechtsanwälte, sodass sie ihre zwischenmenschlich-empathischen Kompetenzen besser als ohne Legal Tech zum Wohle des Mandanten einsetzen können.“
- Philip Rosenauer, Rechtsanwalt PHH Rechtsanwälte: „Es gibt, neben der verpflichtenden Nutzung des webERV, eine Vielzahl von optionalen IT-Lösungen für die Rechtsanwaltschaft, die zu einer Effizienzsteigerung über den kanzleiinternen Bereich hinaus einen Nutzen stiften.“
- Simon Schützeneder, Vorstand der Vereinigung Österreichischer Unternehmensjuristen und Rechtsabteilungsleiter bei Bombardier CEE: „Aus Sicht eines international tätigen Unternehmens gelingt es mit Hilfe von Legal Tech Tools bereits sehr gut, die tägliche Arbeit von Unternehmensjuristen effizienter und zeitschonender zu gestalten. Dies unter anderem dadurch, dass bestimmte weniger komplexe oder standardisierte Aufgaben durch Legal Tech Tools erledigt beziehungsweise erleichtert werden können. Somit bleibt Unternehmensjuristen mehr Zeit, ihren Fokus auf all jene Aufgaben zu richten, die ihre fachliche und inhaltliche Expertise erfordern.“
- Kathrin Shahroozi, Gründerin der Legal Tech Initiative Austria: „Die Digitalisierung ist auch fernab von Legal Tech bereits unser Alltag geworden. Und doch sorgt der vermehrte Einsatz von Technik gerade in der auf Zwischenmenschlichkeit fokussierten Rechtsbranche für Verunsicherung. Durch zielgerichtete Ausbildung der Next Generation und den Abbau von Ressentiments bei jedem Anwender, gleich welcher Karrierestufe, kann die gesamte Branche von Neuerungen durch Digitalisierung profitieren. Bei aller Technik – der Mensch zählt!“
Bild © PHH Rechtsanwälte
v.l.n.r.: Simon Schützeneder (Vorstand der Vereinigung Österreichischer Unternehmensjuristen und Rechtsabteilungsleiter Bombardier CEE), Kathrin Shahroozi (Gründerin Legal Tech Initiative Austria), Nassim Ghobrial (Head of Business Development PHH Rechtsanwälte), Philip Rosenauer (Rechtsanwalt PHH Rechtsanwälte), Max Kindler (Gründer von In Case Of – der digitalen Rechtsabteilung), Andreas Balog (Vorstand der Vereinigung Österreichischer Unternehmensjuristen und Geschäftsführer Arbeiter-Samariter-Bund).